Der Klimawandel macht die Arktis zum begehrten Ziel geopolitischer Interessen. Es geht um Rohstoffe, Handelsrouten und Militärstützpunkte.
Grönland bleibt Grönland und wird kein neuer Bundesstaat der USA. Die diplomatisch plumpe und missglückte Interessensbekundung des US-Präsidenten Donald Trump, Grönland zur USA hinzukaufen zu wollen, ließ die Welt aufhorchen. Ein bemerkenswerter Beleg, dass die Arktis sowohl in den geo- als auch in den klimapolitischen Fokus der Welt gerückt ist. Dass beide Fokuspunkte einander unweigerlich bedingen, hat damit indirekt selbst der aktuelle US-Präsident anerkannt. Auch wenn er als prominentester Leugner des weltweiten Klimawandels keinen Bezug auf die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels auch auf die Arktis und die damit verbundenen geopolitischen Veränderungen genommen hat.
Die Faktenlage ist durchaus dramatisch, wie in dem im September 2019 veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats IPCC über die Ozeane und die Kryosphäre erneut aufgezeigt wurde. Insbesondere in der Arktis ist der Klimawandel spürbar, weil im Vergleich zum globalen Durchschnitt die Temperaturen dort um das Doppelte gestiegen sind. Der Bericht sagt aus, dass die grönländischen und arktischen Eisschilde laut Projektionen während des gesamten 21. Jahrhunderts und darüber hinaus weiterhin mit zunehmender Geschwindigkeit an Masse verlieren werden. Als Konsequenz daraus werden die Meeresspiegel weltweit weiter ansteigen und die Extremwettersituationen zunehmen. Der Temperaturanstieg wird in der arktischen Region zudem dazu führen, dass die Permafrostgebiete schneller auftauen und verstärkt schädliche Treibhausgasemissionen wie Kohlendioxid und insbesondere das noch gefährlichere Methan freisetzen werden.
Bei der Arktis muss dabei auf das wissenschaftliche Konzept der Kippelemente verwiesen werden. Lange Zeit ist man von linearen, allmählich stattfindenden Veränderungen ausgegangen. Jetzt ist aber klar, dass die sich selbst dynamisierenden Abschmelzungsprozesse diskontinuierliche, irreversible und extreme Ereignisse für die globale Erwärmung bewirken werden, die dadurch noch beschleunigt wird. Durch die Eis- und Schneeschmelze werden darüber hinaus ehemals gefrorene Flächen zugänglich bzw. entstehen neue Landmassen, unter denen verschiedenste Bodenschätze vermutet werden, was bereits jetzt große Begehrlichkeiten weckt.
Neben den katastrophalen Klimaschäden wird das Schmelzen des Eises auch auf dem Meer wahrscheinlich dazu führen, dass bereits in 20 Jahren neue Schifffahrtsrouten wie die Nordost- und die Nordwestpassage in den Sommermonaten eisfrei sind. Zwischen den Anrainerstaaten müssen dadurch neue Seerechts- und Landzuteilungsfragen bilateral und international entschieden und besiegelt werden. Wichtig ist hier, dass internationale Rechtsrahmen wie das VN-Seerechtsübereinkommen (SÜR) für die Arktis zum Tragen kommen. Geltende Schifffahrts- und Durchfahrtsrechte müssen gewahrt werden.
Der Weg zwischen Europa und Asien würde sich um 40 Prozent verkürzen, was zusätzliche Wirtschafts- und Politikinteressen nicht nur von den Arktis-Anrainerstaaten, sondern auch von China und anderen europäischen Staaten nach sich zieht. Durch die aufgeführten Veränderungen in der Arktis entstehen gleichzeitig neue Gebiete, die bereits jetzt zusätzliche Souveränitäts- und damit Militär- und Sicherheitsfragen aufwerfen. Die Münchener Sicherheitskonferenz thematisiert deswegen bereits seit einigen Jahren die Arktis als neues Themenfeld.
Die europäische Außenpolitik hat die Erkenntnisse des doppelt so schnellen Temperaturanstiegs in der Arktis 2018 bereits im einem erstmaligen Ratsbeschluss und einem Initiativantrag des Europaparlaments zum Thema Klimadiplomatie aufgenommen. Die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft von Finnland fordert derzeit maximalen Klimaschutz und die Forcierung einer nachhaltigen Entwicklung der Arktis, die verstärkt in eine aktive europäische in- und externe Arktispolitik eingebettet sein sollte.
Bestehende außenpolitische Gremien wie der Arktische Rat und die bisherige gute Zusammenarbeit der Arktis-Anrainerstaaten beim Klima- und Umweltschutz haben ihre Wurzeln in Vorgängerformaten, die bis in die Zeiten des kalten Krieges zurückreichen. Die jetzt bestehenden Institutionen sollten unter allen Umständen aufrechterhalten und gefestigt werden. Kanada, die USA, Russland, das Königreich Dänemark, Finnland, Norwegen, Island und Schweden bilden als Anrainer den Arktischen Rat und sind damit weiterhin ein aktuell im Allgemeinen noch gut funktionierendes Beispiel für den Multilateralismus. Durch das intensive Interesse Chinas, seine Seidenstraße auf den Arktisraum zu erweitern und sich bereits jetzt an Infrastrukturprojekten in der Arktis zu beteiligen, hat China berechtigterweise einen Beobachterstatus und sollte eng in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden.
Es ist richtig und wichtig, dass die europäische Arktispolitik die lokalen und indigenen arktischen Bevölkerungsgruppen in alle Überlegungen einbezieht. Sie sind teilweise jetzt schon von den Klimaveränderungen und den daraus folgenden Entwicklungen in ihren existentiellen und kulturellen Lebensgrundlagen bedroht. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass sich die internationale Arktispolitik nach den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 ausrichtet und dabei insbesondere die vor Ort lebenden Menschen bei der Weiterentwicklung und Veränderung ihrer Region vor Augen hat. Das Recht auf Freiheit, Gesundheit und Selbstbestimmung muss für die indigene Bevölkerung in der Arktis gewahrt bleiben.
Auch unter der derzeitigen deutschen Bundesregierung wird die Arktis richtigerweise als eine Region immer schnelleren Wandels gesehen, deren geo-ökologische, geopolitische und geo-ökonomische Bedeutung für die internationale Gemeinschaft durch Klimaerwärmung und rasant beschleunigte Eisschmelze stetig wächst. Aus diesem Grund brachte Deutschland im August 2019 eigene außenpolitische Arktisleitlinien heraus, in denen es sich dazu bekennt, mehr Verantwortung für den Arktischen Raum und dessen nachhaltige Gestaltung übernehmen zu wollen. Das fügt sich gut ein in die derzeitige außenpolitische Strategie der Bundesrepublik mit ihrem nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat seit Januar 2019. Außenminister Maas nahm in seiner Eingangsrede bei der Vorstellung des Arbeitsthemas Klimadiplomatie daher auch direkten Bezug auf die Arktis.
Ob sich das wünschenswerte Ziel der Bundesregierung umsetzen lässt, jedwede Militarisierung der Arktis zu verhindern oder ob es dazu schon fast zu spät ist, wird sich herausstellen. Diese Thematik muss aber dringend verstärkt diskutiert werden.
Eine weitere wichtige Forderung der Bundesregierung ist, eine rechtsverbindliche Regelung zur Erkundung und zum Abbau von Bodenschätzen einzuführen, die höchste Umweltstandards erfüllt und vorbildliche Regelungen zu Umweltschäden und Haftung beinhaltet. Es bleibt zu hoffen, dass Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 die Themen Klimadiplomatie und speziell Arktis – trotz wahrscheinlich weltweiter Konflikte und Krisen – weit oben auf der außenpolitischen Agenda der EU platzieren wird.
So wichtig es ist, sich auf die potenziellen geopolitischen Veränderungen in der Arktis einzustellen, so sollten wir uns doch im arktischen Raum auf den Klimaschutz konzentrieren. Insbesondere muss schneller und stärker gemeinsam gehandelt werden, um eine Verringerung der Rußpartikel zu erreichen, die bereits jetzt durch zunehmenden Schiffsverkehr, Rohstoffabbau und Waldbrände entstehen und die die Schneeschmelze verstärken. Viele inhaltliche Zusammenhänge, welche Auswirkungen die Klimaveränderungen auf die Arktis und damit auch auf die Welt haben werden, sind noch unbekannt. Deshalb ist es unerlässlich, dass die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit als wichtiger Eckpfeiler der internationalen Klimadiplomatie politisch abgesichert und durch keinerlei neue Gebietsansprüche eingeschränkt wird.
Unabhängig davon zeigt die Komplexität und Bedeutung des Themas Arktis, dass neben den diplomatischen Diensten der EU-Mitgliedstaaten insbesondere der sich noch im Aufbau befindliche Europäische Auswärtige Dienst endlich mit einer schlagkräftigen Arbeitseinheit zum Thema Klimadiplomatie ausgestattet werden muss. Diese Forderung des Europaparlaments aus seinem ersten Klimadiplomatiebericht aus dem Jahr 2018 muss nun von der neuen EU-Kommission umgesetzt werden, die Europa in Sachen Klimaschutz zum führenden Kontinent entwickeln möchte.
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