Artikel im ipg-Journal vom 11.12.2017: „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“

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Seit seiner Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika am 9. November 2016 hat Donald Trump beharrlich und unbeirrbar Errungenschaften der westlichen Staatengemeinschaft wie das internationale und humanitäre Völkerrecht oder internationale Übereinkommen angegriffen, ohne dabei gangbare Alternativen anzubieten. Mit der Europäischen Union ist dagegen inzwischen ein neues Werte- und Rechtssystem entstanden, das im transatlantischen Diskurs nicht mehr wegzudenken ist. Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft der EU verfolgen mit zunehmender Beunruhigung jeden Schritt und Tweet des Präsidenten des wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Landes der Erde. Die USA sind der wichtigste Partner der EU auf vielen Ebenen der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir mögen uns in Europa zwar über die aus unserer Sicht skurril anmutenden inneramerikanischen Debatten über das Waffenrecht oder die Rollenverteilung zwischen Staat und Markt wundern. Bei allen Unterschieden besteht aber über Parteigrenzen hinweg in vielen EU-Mitgliedsländern Einigkeit darüber, dass die USA weiterhin Europas zentraler Verbündeter bei der Lösung internationaler Konflikte und Herausforderungen sind.

Die USA und die EU bewegen sich jedoch in fast allen wichtigen Fragen der Weltpolitik voneinander weg. Drei zentrale Herausforderungen für den Frieden und das Wohlergehen der Menschen weltweit sind die Verbreitung und der mögliche Einsatz von Atomwaffen, der Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästina und der Klimawandel. In allen drei Fragen haben sich die USA unter Trump vom westlichen Konsensus abgewandt, den sie selbst über viele Jahre mit entwickelt und verteidigt haben. So hat Trump das Atomabkommen mit dem Iran in Frage gestellt, Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt und damit eine Zweistaatenlösung in weite Ferne rücken lassen und angekündigt, die USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2016 zurückzuziehen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen daraufhin schnellstmöglich gemeinsame Strategien entwickeln.

Das Atomabkommen mit dem Iran

Präsident Trump wird nicht müde, das Atomabkommen mit dem Iran in Frage zu stellen. Es wurde über einen Zeitraum von 12 Jahren unter Vermittlung der Außenbeauftragten der Europäischen Union ausgehandelt. Die EU muss sich gegenüber der US-Regierung für den Erhalt des Abkommens einsetzen und durch strikte und transparente Kontrollen dessen Umsetzung begleiten. Zeitgleich sollte die EU die berechtigten Sorgen der US-Regierung um die destabilisierende Rolle des Iran in der Region ernst nehmen. Um den zunehmend in Stellvertreterkriegen ausgetragenen Konflikt zwischen den beiden Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran einzudämmen, bedarf es eines Dialogprozesses, der beide Seiten und die anderen Länder der Region sowie wichtige regionale Organisationen wie den Golfkooperationsrat mit einschließt. Die EU könnte hierfür die Schirmherrschaft übernehmen, idealerweise gemeinsam mit den USA. Allerdings sollte die EU auch bereit sein, diesen Prozess notfalls ohne den amerikanischen Partner anzustoßen.

Der Nahost-Konflikt

Präsident Trump hat die USA nach seiner Jerusalem-Entscheidung als Vermittler im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern disqualifiziert. Nachdem er die Zweistaatenlösung wiederholt öffentlich in Frage gestellt hatte, kündigte er am 6. Dezember an, dass die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Mit dieser Entscheidung kam er einer Forderung der rechtsgerichteten israelischen Regierung nach, die Jerusalem als alleinige Hauptstadt Israels und keineswegs als Hauptstadt eines israelischen und eines palästinensischen Staates betrachtet. Die Reaktionen von palästinensischer Seite ließen nicht lange auf sich warten. Abbas teilte mit, dass er die Entscheidung Trumps als einen Rückzug der USA als Vermittler in der Region deute. Die radikalislamische Hamas rief die palästinensische Bevölkerung in Ostjerusalem, im Gazastreifen und im Westjordanland zur dritten Intifada gegen Israel in der Geschichte des Nahostkonflikts auf. Der Versöhnungsprozess zwischen der Autonomiebehörde von Palästinenserpräsident Abbas und der Hamas, in den erst kürzlich nach vielen Jahren wieder Bewegung gekommen war, droht deshalb zu scheitern. In Reaktion auf Trumps Entscheidung erklärten die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten bei den Vereinten Nationen in New York in einer gemeinsamen Erklärung: „Wir sind nicht einverstanden mit der US-Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Das ist nicht im Einklang mit Resolutionen des Sicherheitsrates. Und es dient nicht den Friedensaussichten für die Region.“

Im Gegensatz zum Iran liegt der Nahe Osten quasi vor Europas Haustür. Mehrere Mitgliedstaaten der EU haben historische Bindungen zu den Staaten der Region. Als wichtigster Handelspartner Israels und größter Geldgeber der Palästinenser verfügt die EU als Institution zudem über ausreichend Druckmittel, um in positiver Weise Einfluss auf den Konflikt zu nehmen. Die EU muss jetzt in die von den USA hinterlassene Lücke vorstoßen, nicht etwa, um sich im Gegensatz zu Trump auf die Seite von Palästinenserführer Abbas zu schlagen. Denn dieser hat in den letzten Jahren auch nicht durch Kompromissbereitschaft und konkrete Schritte in Richtung einer Aussöhnung mit der Hamas geglänzt. Stattdessen sollte die EU als unparteiischer Vermittler zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) fungieren. Zugleich sollte sie die arabischen Staaten in der Region, allen voran Ägypten, darauf drängen, den Aussöhnungsprozess zwischen der PA und der Hamas aktiv zu unterstützen. Denn ohne eine geeinte palästinensische Führung besteht wenig Hoffnung auf Friedensgespräche mit Israel.

Zugleich gilt es, Präsident Trump davon zu überzeugen, sich öffentlich zum Status Jerusalems als ungeteilter Hauptstadt Israels und eines künftigen Palästinenserstaates zu bekennen und somit die Zweistaatenlösung nicht vollends zu begraben. Die USA sind und bleiben der wichtigste Verbündete Israels. Sie haben weiterhin enormes politisches Kapital sowie wirtschaftliche Interessen und Einflussmöglichkeit in der Region. Für eine Europäische Union, die sich das Ziel auferlegt, den Nahhost-Friedensprozess wiederzubeleben, bedeutet dies, die von Trump bereits vor Monaten angekündigte Friedensinitiative in ihrem Sinne mitzugestalten. Gleichzeitig sollten sich die Europäer aber keine Illusionen machen. Die USA können in naher Zukunft wohl allenfalls Schadenbegrenzung mit Blick auf Präsident Trumps einseitige und unkritische Unterstützung Israels betreiben. Als effektiver Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern ist die EU hingegen weitaus besser positioniert. Sie sollte deshalb den Mut ergreifen, diese Rolle auch auszufüllen und in Absprache mit den USA und den arabischen Staaten eine eigene Friedensinitiative ins Leben rufen. Dies wurde bereits in einer Resolution des Europäischen Parlaments vom 17. Mai 2017 zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung im Nahen Osten gefordert.

Der internationale Klimaschutz

Nicht weniger radikal als die Abkehr Trumps von der Zweistaatenlösung ist seine Kehrtwende beim internationalen Klimaschutz. Während die USA unter Präsident Obama noch gemeinsam mit der EU für die Verabschiedung des Pariser Klimaschutzabkommens eintraten, kündigte Präsident Trump am 1. Juni 2017 dessen Aufkündigung an. Zwar soll die Entscheidung erst am 4. November 2020 wirksam werden. Allerdings zeigte sich bereits bei der diesjährigen Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn, dass die Welt in Sachen Klimaschutz nicht auf die derzeitige US-Regierung zählen kann. Beispielsweise warb die US-Delegation bei einer Podiumsdiskussion offen für Kohle, Erdgas und Atomkraft als die wichtigsten Energieträger der Zukunft.

Die EU muss jetzt auch hier verstärkt Führungsstärke und Kreativität beweisen, um das Pariser Abkommen als zentralen Rahmen für internationale Klimaschutzbemühungen zu bewahren. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die EU die Bedeutung des Klimaschutzes in ihren Beziehungen mit anderen Ländern und Institutionen systematisch und kontinuierlich hochhält, aber auch ihre eigenen Hausaufgaben macht. Hierfür müssen ihr die Mitgliedstaaten die nötigen Mittel an die Hand geben. Bisher wird die Klimadiplomatie auf europäischer Ebene von einer Handvoll Experten im Europäischen Auswärtigen Dienst und der Europäischen Kommission entworfen. Das mag für die Entwicklung einer Strategie ausreichen; für die Umsetzung braucht die EU allerdings deutlich mehr qualifiziertes Personal. Darüber hinaus muss die EU kreativer im Umgang mit Akteuren wie Bürgermeistern, Gouverneuren, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmensverbänden werden.

Erstmalig nahmen dieses Jahr in Bonn Vertreter lokaler Gebietskörperschaften an der UN-Klimakonferenz teil. Zudem waren die USA neben der US-Regierung auch durch die Allianz „We are still in“ bei der Konferenz vertreten. Die an der Kampagne beteiligten Gouverneure, US-Senatoren, Bürgermeister, Universitätsvertreter und Firmenchefs bekennen sich im Gegensatz zur US-Bundesregierung weiterhin zum Pariser Abkommen. Gemeinsam repräsentieren die mehr als 2500 Führungskräfte eigenen Angaben zufolge 127 Millionen Amerikaner und 5,2 Milliarden Euro der US-amerikanischen Wirtschaftsleistung.

Im Europaparlament habe ich einen Bericht des Europäischen Parlaments zur europäischen Klimadiplomatie angestoßen, der bis zum Sommer 2018 abgeschlossen sein muss. Dass das Europaparlament zu einem immer wichtigeren Akteur in der Klimadiplomatie wird, zeigte beispielsweise der Besuch des Gouverneurs Jerry Brown im Parlament im November dieses Jahres. Unter anderem sollte sich das Parlament in dem zuvor genannten Bericht dafür aussprechen, dass der Europäische Auswärtige Dienst in seinem Vorhaben unterstützt wird, einen europäischen Rahmen für die nationalen Initiativen der Mitgliedstaaten zum Klimaschutz zu schaffen und diese zu verstärken. Die EU-Delegation in Washington hat bereits eine Strategie entwickelt, um gegenüber US-amerikanischen Entscheidungsträgern für die Umsetzung des Pariser Abkommen zu werben. Solche Initiativen müssen ausgebaut und durch die Mitgliedstaaten und das Europaparlament unterstützt werden.

Schließlich darf die EU die transatlantischen Beziehungen auch beim Klimaschutz nicht auf ihr Verhältnis zu den USA verkürzen, sondern sollte ihre Beziehungen zu Kanada weiter vertiefen. Das zu Beginn des Jahres von der EU und Kanada verabschiedete Freihandelsabkommen CETA beinhaltet einen für den Klimaschutz sehr wichtigen Passus. Darin verpflichten sich beide Handelspartner, dass sie das Pariser Klimaschutzabkommen umsetzen werden. Das Europaparlament hat in einer Resolution vom 8. Februar 2017 beschlossen, dass zukünftige Handelsabkommen nicht hinter diesem und anderen im Rahmen von CETA erzielten Standards in wichtigen Bereichen wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder Arbeitnehmerrechten zurückbleiben dürfen. CETA wird damit auch zur Basis für alle potenziellen Handelsabkommen mit zukünftigen US-Regierungen, die damit an den Zielen des Pariser Abkommens nicht vorbeikommen würden. Darüber hinaus sollte die EU ihre wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Beziehungen zum zweiten transatlantischen Partner Kanada ergänzend zu ihren Beziehungen zu den USA weiter ausbauen.

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