Unser demokratisches politisches System in Deutschland kann mit der Weimarer Republik zum Glück nicht gleichgesetzt werden. Nach dem Untergang des Nationalsozialismus und der zweiten sozialistischen Diktatur in Deutschland haben sich die Deutschen ein robustes, demokratisches Korsett verpasst. Die schnelle Verfestigung der „Pegida“-Bewegung sowie die Radikalisierung der AfD und ihr rascher Einzug in die Parlamente erinnern dennoch stark an die Zeit der Weimarer Republik.
Die AfD erlag der Pegida-Versuchung
Als Kandidat für die Europawahl 2014 habe ich erlebt, wie sich die AfD auf eine Fundamentalkritik am europäischen Finanzsystem und dem Euro ausrichtete. Damit gelang ihr der Einzug in das Europaparlament mit sieben Sitzen.
Schnell wurden die verstärkten Sympathien und die personellen Überschneidungen mit der im Herbst 2014 gegründeten Pegida-Bewegung unübersehbar. Anstatt sich von Pegida abzugrenzen, erlag die AfD der Versuchung, durch eine zunehmende Nähe zu der Bewegung ihre Gefolgschaft zu vergrößern. Mit Erfolg. Und mit dem Ergebnis, dem Rechtsruck der Partei Vorschub zu leisten.
Das Potenzial der AfD ist heute größer als 2014
Im November 2014 habe ich noch mit Bernd Lucke in den Fluren des Europaparlaments heftig gestritten und ihm deutlich gemacht, dass er als Parteivorsitzender der AfD ohne eine sofortige und eindeutige Abgrenzung zu Pegida auch selbst zum geistigen Brandstifter – insbesondere in Ostdeutschland – wird. So ist es dann auch gekommen. Schlussendlich hat ihn diese Frage die politische Karriere gekostet.
Auch wenn dem Europaparlament mittlerweile nur noch zwei Parteimitglieder der AfD angehören, ist sie deshalb dort nicht weniger gefährlich. Vielmehr hat die Partei derzeit das Potential, bei den nächsten Europawahlen viel mehr Stimmen aus Deutschland zu erhalten als 2014.
Ein weiterer Schritt Richtung Rechtsextremismus
Nach der populistischen Debatte über den Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge, die von Marcus Pretzell und Beatrix von Storch losgetreten worden ist, wurden die AfD-Mitglieder von ihrer europäischen Parteienfamilie aufgefordert, sich eine neue politische Heimat zu suchen. Von Storch kam dem drohenden Rauswurf zuvor und wechselte von sich aus zu den Europagegnern, unter denen sich auch die „Brexit“-Befürworter von UKIP befinden.
Marcus Pretzell beging seinerseits mit seinem Wechsel ins Fraktionslager von Marine Le Pen vom „Front National“ und der niederländischen Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders einen weiteren Schritt in Richtung Rechtsextremismus.
Rote Linien werden ohne Scham überschritten
Kontakte zur österreichischen FPÖ und zum Front National waren noch vor einem Jahr für die AfD rote Linien, die heute ohne Scham überschritten, ja sogar zelebriert werden. Die nationalistische FPÖ wurde zudem von AfD-Chefin Frauke Petry in diesem Jahr mit einem Hauptredner zu einer Parteiveranstaltung zum Thema Europa nach Deutschland eingeladen.
Da hilft es auch nicht, wenn Petry auf Nachfrage beteuert, ihre Partei sei „konservativ liberal“. Ebenso wenig hilft es, dass die Partei von der Selbstverortung „nationalistisch waren wir nie“ abgerückt ist und sich mittlerweile als „deutschnational“ bezeichnet. Das Stuttgarter Parteiprogramm spricht dem Islam ab, zu Deutschland dazuzugehören und will Minarette verbieten. Diese Punkte widersprechen eindeutig der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit.
Die SPD muss den Kampf aufnehmen
Wer im Wissen um diesen deutlichen und selbstgewählten Rechtsruck der Partei weiterhin AfD wählt, befördert mit seiner Stimme nicht mehr einen wie auch immer gearteten „Protest“, sondern unterstützt eine klar nationalistisch-rechtspopulistische Partei. Das müssen sich die Wähler und Sympathisanten der AfD bewusst machen!
Aus Weimar sollten wir gelernt haben, dass neue, demokratisch gewählte Mehrheiten die Demokratie zerstören können. Der inhaltliche Kampf und die politische Auseinandersetzung darf nicht in die Zukunft verschoben werden. Für die SPD muss das heißen, auch als Volkspartei stärker ihre Markenkerne wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit als klare programmatische Alternative zu anderen Parteien – inklusive der AfD – herauszuarbeiten.