Ankara steuert auf Diktatur zu
Demokratie-Aushöhlung mit Ansage: Die von dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angestrebte Verfassungsänderung, die das türkische Parlament am Mittwoch, 18. Januar, in zweiter Lesung berät, wird die persönliche Macht Erdogans verfestigen und dem Demokratieabbau in der Türkei damit weiter Vorschub leisten. Das erklärt Arne Lietz, Außen- und Menschenrechtspolitiker im Europaparlament. „Schon heute nutzt Erdogan seine Macht in einer Weise, die einer Demokratie nicht würdig ist – etwa um kritische Journalisten mundtot zu machen oder um unbequeme Richter massenhaft zu entlassen. Dieser Machtmissbrauch ist nur möglich, weil Erdogan unter dem Deckmantel der Anti-Terrorbekämpfung den Ausnahmezustand verhängt hat. Die nun angestrebte Verfassungsänderung würde solche temporären Befugnisse des Staatspräsidenten rechtlich zementieren. Für die Demokratie in der Türkei ist das eine riesige Gefahr, und eine Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche wird unter diesen Umständen unwahrscheinlich.“
Die geplante Verfassungsänderung sieht unter anderem vor, dass der türkische Staatspräsident künftig nicht nur Staatsoberhaupt, sondern zugleich Regierungschef ist und als solcher einer Partei angehören darf. Er soll zudem das Recht erhalten, Minister zu ernennen und abzusetzen sowie das Parlament aufzulösen. Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollen gleichzeitig stattfinden, was die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, dass beide Staatsorgane derselben Partei bzw. demselben Parteienbündnis angehören.
„Mit diesem Schritt hin zu einem präsidialen Regierungssystem würden die letzten demokratischen Kontrollmechanismen abgeschafft oder ausgehebelt“, so Arne Lietz. „Die Argumentation von Erdogan und seinen Unterstützern, ein direkt gewählter Präsident mit einer Mehrheit im Parlament könne Volkes Wille effektiver umsetzen, halte ich für falsch. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass die Verfassungsreform zu einer Diktatur führen könnte. Wer nicht Teil der Mehrheit ist, sieht sich bereits heute starken Repressionen ausgesetzt, wie die jüngsten Massenentlassungen und -verhaftungen von Vertretern der kurdischen Minderheit und regierungskritischen Journalisten und Akademikern zeigen.“ Jüngstes Beispiel: Am Dienstag, 17. Januar, hat die türkische Staatsanwaltschaft ein Strafmaß von 142 Jahren Gefängnis für den kurdischen Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas gefordert, den Arne Lietz vor seiner Festnahme im November 2016 zweimal getroffen hatte. Der Prozess wird von Experten und Menschenrechtsverteidigern als politisch motiviert eingeschätzt.
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